Arme reiche Freunde

(erschien in gekürzter und entschärfter Version am 29.6. 2012 bei der Berliner Gazette u.d.T. Wo die hippen Schrippen wohnen)

Neureiche Kinderhirne, denen mit den Jahren der Sinn fürs Wesentliche verloren gegangen ist, suchen in den angesagten Metropolen der Welt nach maßgeschneiderten Wohnungen. Sie ziehen den viral gehypten Trends hinterher. Zur Zeit muss alles „authentisch“ sein, das ist ganz wichtig, denn vielleicht färbt dieses „Authentische“ doch noch etwas auf die verkorksten, leeren Charaktere ab. Man bemüht sich also um Authentizität, aber was dabei herauskommt, ist neurotische Künstlichkeit. „Gentrifizierung“ nennt man dieses leidliche Phänomen in den Städten, das ich hier in vier Sätzen gleich noch zu psychologisieren mich erdreistete. ;-P

Der janz normale Durchschnittsbürger findet ditt aber ja nich so lustich, weil durch die Ansiedlung solches halbgaren Neo-Spießertums das ursprüngliche Klima aus dem Kiez verschwindet (in Berlin mit den Jahren: Friedrichshain, Prenzlberg, Kreuzberg, Wedding, Schöneberg, Neukölln): Die Mieten steigen, alteingesessene Läden weichen solchen, die das hippe neue Publikum bedienen, und Arroganz und Unverständnis geben den Nachbarschaftston an. Mit solchen Leuten hält das Unechte Einzug, die Alltagswelt wird synthetisch verdreht.

Da die neuen Nachbarn geil aufs Zeigen und Präsentieren sind, gibt es Websites, auf denen man ihnen in ihre „schicken“ Wohungen gucken kann. Eine davon ist freundevonfreunden.com. Die folgenden Zeilen enstanden nach mehrwöchiger Beobachtung besagter Website, und die Erkenntnisse sind empirisch erarbeitet.

Was tun mit einem 500-Quadratmeter-Loft in Berlin-Schöneberg? Richtig, alles schön leerstehen lassen! Die Tapeten vom Putz reißen. Sich um nix kümmern. Hier und da mal einen Stuhl in einer Ecke abstellen, damit das Auge etwas zum Festhalten hat. Wartehallencharme. Einbrecher würden das Kotzen kriegen. Wer hier von „eigenem Stil“ redet (wie z. B. die „Freunde“ von ZEIT online), der hat selbst keinen. Es handelt sich nicht um Stil, sondern lediglich um schlechten Geschmack gepaart mit Null eigenen Ideen. Alles ist bloß abgekupfert aus einschlägigen Interior-Büchern und Katalogen.

Dann sind da überall solche Küchen, denen man ansieht, dass sie seltenst benutzt werden, und die oft nach industrieller Großküche im Kleinformat aussehen. Allzuoft wirken die Apparaturen wie steampunkige Operations- oder Folterinstrumente. Aber was geht das uns an? Werden Kinder, die nicht von den Eltern, sondern von Kindermädchen erzogen werden, erwachsen, schaffen sie sich eben solche Küchen an.

Als nächstes fällt mir auf: Die Leute haben entweder erstaunlich viele oder erschreckend wenige Bücher in ihren Regalen. Aber auch das ist sofort wieder nur egal, denn viel Zeit zum Lesen werden die geschäftigen Agentur-Leiter_innen, Mode-Designer_innen und Künstler_innen ohnehin nicht haben. Weiße Regale sind derzeit überall das Nonplusultra!

Gemütlichkeit und Behaglichkeit sind dagegen fast überall abwesend. Pure Einsamkeit weht allzuoft um jede harte, kalte Möbelkante. Immer schön Ecke auf Ecke. Ja, diese feindlichen Ecken allenthalben! Ich würde mir ständig die Schienbeine und Ellenbogen stoßen und auf den stets arschglatt glänzenden Fußböden ausrutschen. – Einsam „in Szene gesetzte“ Blumentöpfe, Teller, Bilderrahmen oder anderer Nippes fristen lustlos ihr Dasein vor kalten Hintergründen. Oberstes Gebot: Jedes verflixte Utensil muß etwas ausdrücken, muss etwas (re-)präsentieren, eine message an den betrachtenden Besucher übermitteln. Einfach nur so für sich leben ist nicht möglich. Der Gedanke: „Was die anderen über mich denken sollen, wenn sie mich hier besuchen.“, springt den Betrachter förmlich an. – Bitte nicht falsch verstehen: Natürlich bietet sich die eigene Wohnung geradezu an, seine Persönlichkeit auszudrücken, beinahe noch mehr als beispielsweise die Wahl des Kleidungsstils. Betrachtet man die Fotogalerien, stellt man fest: Da könnte überall dieselbe Person wohnen. Die zwei Enden einer Wurst: Einerseits also Bauhaus pervers: Glatt, kantig, leer und nichtmal mehr funktional, oder andererseits: Alles überladen, schrill schreiend, zugestellt; selbst auf dem Couchtisch kein Platz mehr für’n Wasserglas. Dazwischen rangiert, gerade bei den jüngeren Herren, ein diffuser Comic- bzw. Studentenzimmer-Stil. Bieder, bieder, und nochmal: bieder, das ist gerade bei den Wohnungen der „jungen“ Damen die Wahl der Stunde. Kaum eine in Europa noch lebende Großmutter würde sich heute so bieder einrichten.

Sollten inmitten dieser pathologischen Schickeria tatsächlich echte Kinder ihr Dasein fristen müssen (die armen Laborratten!), sehen deren Zimmerchen auch nur aus wie von ToyStory abgekupfert. Die Eltern dazu: Er mit Vollbart und ausrasierten Schläfen, darüber längeres Deckhaar; sie mit starker Hornbrille und Hosenanzug.

Man will den Blick abwenden von all dem überteuerten Elend, und stellt fest: Der Ausblick aus den Fenstern geht entweder in mondäner Weitsicht über alle Dächer hinweg bis zur nächsten grünen Lunge der jeweiligen Metropole, oder das Augenlicht klatscht irritiert an einen unverputzten, ranzigen Innenhof. Ja, gerade für Berlin gilt: Man zahlt viel Geld für Wohnungen und Häuser, die in den 80ern selbst von Punks nur ungern besetzt worden wären . Dann stellt man sich ein paar möglichst nicht zu einander passende Möbel in jedes Zimmer und nennt das ganze sein Zuhause. Ein weiteres Phänomen und gähnreizend zwischen all den schweren, maßgezimmerten Schränken, Tischen und Sideboards: Eine profane Holzplatte auf zwei Böcken als Arbeitstisch – als hätt’s bei den zehntausenden Euro an Einrichtungskosten nur noch für die Ikea-Lösung gereicht. Ganz recht, hier dreht sich das Karrussel weiter, denn Ikea stellt ja bekannterweise nur Abbilder von Möbeln her, Billigausgaben von richtigen Schwergewichten. Und in den Haushalten, um dies hier geht, wird mithilfe teurer Möbel eben dieser sterile Ikea-Look nachgeahmt, den als „Stil“ zu betiteln unter Strafe gestellt werden sollte.

Wurden all diese „Freunde“ von ein und dem selben Innenausstatter beraten? Das sieht hier überall so verdächtig gleich aus! Kunstgeschichtler würden sagen: Die gestalterische Handschrift ist in 90 Prozent all dieser Wohnungen dieselbe. Da habt ihr eure hippe „Individualität“! Jeder Freund und jede Freundin würde sich in der Wohnung des anderen auch sehr schnell zuhause fühlen, Zack-Zack-Wohnungstausch, und die plattäugigen Kinderchen würden’s kaum mitschneiden, weil Daddys Kumpel aussieht wie Daddy, und Mummys beste Freundin eben wie Mummy. Ja, wer sich die jeweils neueste Fotoserie anguckt, dem wird unweigerlich der Gedanke kommen: „Das hatten wir doch neulich schon… ?! Diese zu stark gerahmte Brille auf dem stadtneurotischen Nulpengesicht, ist das nicht der Typ von letzter Woche…?!“ Nein, ist er nicht, das ist dessen entfernter Freund, aber macht nix: Kennst Du einen, kennst Du sie alle. Irrlichter bestätigen auch hier die Norm, da hält man inne: Zwischen all diesem synthetischen Pseudo-Individualismus stößt man beispielsweise auf einen türkischen Künstler, mit dessen zugestellter Bruchbude ich nun auch nicht gerade liebäugeln würde – aber unweigerlich drängt sich einem die Frage in den Kopf: Wer von diesen hippen Schrippen kennt einen solchen echten Typen und komplimentiert umgehend den Hausfotografen zu ihm?

Zum Ende hin blättert man schneller durch den Katalog. Kaum der Erwähnung wert, weil doch selbstverständlich: In allen Haushalten ist das wichtigste Gerät (und roter Faden, wäre er nicht so langweilig blässlich): der weiße Laptop mit grauem Apfellogo. Stünde dort ein PC, wäre das ganze Appartment mit einem Mal völlig daneben, out, bad taste. So aber völlig am Puls der Zeit und alles prima zueinander passend, auf sich selbst verweisend. Gleich und Gleich gesellt sich gern.

Wiederkehrende Elemente allerorten: Diverse Male dasselbe rote Blow Up-Filmposter an der Wand (Motiv: David Hemmings kniet dominant auf Brusthöhe seines liegenden Models; Message für den Besucher: „Hier wohnt jemand, der nicht verklemmt ist.“); ein in Wohnzimmer, Arbeitszimmer oder Küche abgestelltes Rennrad („Öko“ u. „Sportlichkeit“); eine lässig in die Ecke gestellte akustische Gitarre („musikalisch“); auf dem Fußboden stehende Bilderrahmen („kreatives Chaos“). Was nicht zusammen passt, wird erst recht zusammen gestellt, und die trendige Freundinnen-Clique nickt es neidvoll ab. Lang lebe bad taste chic.

Last and least: An den Wänden hängt hässliche postmoderne „Kunst“, symptomatisch für die Ästhetik dieser Hipster-Hirne. Wofür Mandy Gryzkopvski, Klasse 8c, im Kunstunterricht eine Vierminus bekäme, das ist hier eingerahmt und ausgestellt. Großenteils verdienen aber die Porträtierten – und das ist der traurige Skandal! – mit solchem Schmonz ihre Miete.

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