Selbstfindung nach Feierabend

(erschien am 6. Juli 2009 auf http://www.blog.suedasien.info)

Die Kulturabteilung der Indischen Botschaft lud ein zu einem Abend devotionaler Gesänge. Es sangen Swami Gurusharanananda und Swami Mangalananda aus Zentral-Indien, zwei vollbärtige Herren mittleren Alters in orangefarbener weiter Baumwollkleidung (um die ich sie beneidete). Ah, wenn ich sage: aus Zentral-Indien, so stimmt das nur genau zur Hälfte, denn einer der Swamis war ein Amerikaner, der seit 1973 regelmäßig nach Indien fährt, und außerdem war da eine „Lady from eastern Germany“, die zuerst einen Rhythmus klinkerte und später zur Musik tanzte bzw. sich kreiselnd über die Bühne drehte. Der junge indische Trommler glich das Ost-West-Verhältnis aus.
Die beiden Herren, rein optisch eine Light-Ausgabe von ZZ Top (Kopfbedeckungen, Brillen und eben Vollbärte) saßen in Schneider- Pardon! Lotossitz da und trugen über zwei Stunden hinweg ihre schönen sprituellen Lieder vor. Kräftig in der Stimme und stark, ja sogar leicht amerikanisch im mimischen Ausdruck und in der pausenfüllenden Rhetorik. Ja, da waren Profis am Werk, die ihre Sache von der Pike auf gelernt hatten: Das herzlich-friedliche breite Grinsen, – erlöst von allem Weltlichen, voll von innerer wie äußerer Harmonie – war ebenso einstudiert und auf Kommando aufsetzbar bzw. abrufbar wie die Töne der zu singenden Melodien…
Die Plätze des Auditoriums waren zu drei Fünfteln gefüllt mit blassen Neugierigen aller Altersstufen. Auch einige Inder waren dort und da wie exotische Hotspots in die Feierabendgesellschaft verteilt.

Sobald die ersten Töne erklangen und ein Rhythmus von den deutschen Ohrenträgern und vor allem -trägerinnen ausgemacht worden war, begannen die ersten Hingebungswilligen, sich in ihrem Stuhl hin und her zu wiegen, mit viel Schulterarbeit, das Kinn dabei in Richtung Brust gesenkt oder gen Himmel respektive Saaldecke gereckt, die Augen geschlossen. Ärmel von weiten, indisch anmutenden Gewändern, die extra für den Abend ausgewählt und angezogen worden sein könnten, schlackerten um weisse Handgelenke, die mit vergleichsweise zu starken indischen Armreifen behangen waren. Einige der anwesenden Herren immitierten auf den Oberschenkeln beidhändig und pseudo-fachmännisch den Trommler, der oben am Bühnenrand gute Arbeit leistete.

Der indigen indische der beiden indischen Gurus erzählte zwischen zwei Liedern gern einen seichten Witz mit Aha-Effekt á la: Einem Asketen wird von einem Hund das einzige Fladenbrot gemopst. Der Asket rennt dem Hund hinterher, einen Topf Butter in der Hand. Als die Dorfbewohner ihn fragen, ob er als Asket denn nicht auf den Fladen verzichten könne, sagt er: Oh doch! Nur, der Hund soll das Fladenbrot mit Butter essen! Die Moral der Geschichte erklärt sich von selbst: „deep, true love to every thing and every beeing on the planet.“

Und dann, o weh!, kam der Moment, der mich, bei all dem vorherigen eitlen Spiritualismus dort auf der Bühne, endgültig skeptisch werden ließ, an dem ich mir doch arg rational und irgendwie überlegen, weil doch überdurchschnittlich selbstgefestigt vorkam im Gegensatz zu ca. drei Vierteln der anwesenden Sinnsucher/innen: Es wurde zum Tanzen bzw. Mittanzen aufgefordert: Der unerwartete abendliche Befreiungsruf an die geschlagenen, unterdrückten Seelen der Stadt, denen es nach nach einem Süßwasserozean des Aus-sich-raus-Gehens dürstet.
Nach den ersten Takten erhoben sich einige Frauen schwungvoll und traten aus den Sitzreihen hervor, um ihre vormals auf den Stühlen sitzenden Schwankungen und Schwinungen stehend und also freidrehend ausbreiten zu können. Und dann gab es schon nach kurzer Zeit kein Halten mehr. Die Leute standen auf, Taschen wurden abgelegt und Stuhlreihen recht unharmonisch (weil kraftvoll) zusammengeschoben, um mehr Tanzfläche zu haben. Bei all‘ meinen bisherigen Besuchen in der indischen Botschaft hier in Berlin habe ich das noch nicht erlebt. Arme wurden geschleudert, Hinterteile kamen ganz unasketisch und eher vergeblich-verführend in kreisrunde Bewegungen. Geschlossene Augen, wo ich nur hinsah. Figuren, Wellen und Luftschlangen wurden mit gestreckten Armen in die Luft gezeichnet, die Aura dargestellt und das Karma positiv aufgeladen – was weiß ich, welche schwebenden Bilder in den Tänzern und Tänzerinnen vorgingen, als sie den Takt klatschten oder teilweise damit genau neben eben diesem lagen. Die Hippies der Siebzigerjahre bekamen das spirituelle Freitanzen inklusive erleuchtetem Grinsen bei geschlossenen Augen nicht besser, aber auch nicht schlechter hin als die hier via softem Kommando und Knopfdruck und Trommelschlag plötzlich aktivierten Glückseligen, von denen es in indischen Städten wie Rishikesh förmlich wimmelt: Yoga-Treibende, Seelsucher, Erleuchtungsgläubige und Erleuchtungswillige, Friedenstauben, Hare-Krishna-Opfer und sonstige Weltentrückte auf Zeit, denen von teilweise cleveren Pseudo-Gurus und dreisten Scharlatanen eingeredet wird, sie seien so, wie sie daherkämen, grundsätzlich nicht in Ordnung, könnten sich aber durch das jeweilige Prinzip (Yoga, Meditation, etc.) verbessern und „peace in mind“ erlangen – gegen 70 US$ pro Tag (bei Selbstverpflegung).

Ein buntes Völkchen also, das nur der simplen, mit viel Harmonie vorgetragenen Aufforderung „Get up and dance, don’t be shy.“ bedurfte, um eine Markierung auf der gefühlten Karma-Skala nach oben zu rutschen:
Selbstfindung nach Feierabend, und sie alle werden schwören können, daß sie diese Energie in sich ohne das Indische am und im Indischen nicht zu spüren in der Lage wären (Ein befreundeter Inder klagte mir einmal sein Leid, das er mit solchen Leuten immer wieder erlebe. Denn es scheint in diesen Kreisen die Ansicht vorzuherrschen, jeden in Indien geborenen Inder prinzipiell als einen der Erleuchtung qua Geburt schon Näherstehenden zu verehren und ihn deshalb über dieses Thema ausfragen zu müssen!). So, wie sie da leben und tanzen, sind sie bei den religiösen Liedern und Gesängen „emotionaler“ und „gläubiger“, kurz gesagt also indischer bzw. hinduistischer als die indigenen Hindus selbst – und das ist mir immer verdächtig!

Letzlich aber also vom westlichen Deutschland verletzte und unter(?)- bzw. überforderte Charaktere, mit deren Leicht- und Gutgläubigkeit sich mitunter gute Geschäfte durch Wochenendseminare in Veda-Lektüre und Achtwochenkurse in esoterischem Mumpitz verdienen ließen. Leicht verführbare Gläubige, denen unsere christliche Dogmatik – wen wundert’s? – zu hülsenhaft und oft zu negativ daherkommen wird. Ja, im Prinzip könnte auch ich mich zu ihnen zählen, aber sofort auch wieder nicht, denn ich bin von je her zu kritisch und wittere die Show durch alle Barthaare und Baumwollfäden hindurch, rieche den Braten trotz Totaler Anosmie über Meilen gegen den indischen Gebirgswind. Gut, ja, ich kann mir ein „Om namah Shivaya“ über die Lippen kommen lassen, und das in allem tatsächlichen Respekt und in aller Ernsthaftigkeit, die ich für Religionen empfinden kann. Aber ich verspürte nie, auch nicht in Indien selbst, die Notwendigkeit, mich in eine bestimme Richtung verändern zu müssen. Aus den extra für Westler eingerichten Ashrams im schon genannten Rishikesh flüchtete ich nach kürzester Zeit, nach anderthalb Stunden, wobei ich mir noch in dieser Zeit das höhnisch-skeptische Grinsen ob des amerikanischen Neu-Heiligen und Ober-Gurus (ganz in Weiß) kaum verkneifen konnte, dem zu Ehren alles aufstand, sobald er einen Raum betrat und der die Leute zu segnen begann, wie es wohl kaum ein echter Sadhu im indischen Wald täte. Die Gäste des Ashrams waren ausnahmslos unindische Touristen westlicher Länder, die hinweggerafft und aufgelöst zu ihm flohen und sich eiligst verbeugten: Sei uns ein starker Führer, nach Feierabend und im Urlaub! Einen starken Führer wollen wir! – Ja, wenn alle Stricke reissen, schlage ich mich als bald fertig studierter Indologe und Südasienwissenschaftler eben auch mit dieser Klientel herum… und gründe meine eigene Sekte!

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