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Wartezimmeranekdote

Jetzt im Sommer fällt mir gerade eine Anekdote aus einem Winter ein.

Wir hatten damals noch wochenlangen Frost und man verfluchte morgens das im Minusbereich feststeckende Thermometer, als ich mal richtig krank war. Nicht nur zehn Tage erkältet, sondern richtig grippal angegriffen: Kopf zu, Nase zu, Stirn zu, Ohren dicht, Stimme weg, Gliederschmerzen, Schüttelfrost, Appetitlosgkeit, Schlaflosigkeit, Fieber, akustische Fatamorganas im Gehörgang — dit janze Programm eben…
Als das Fieber am sechsten Tag endlich auf 38.5°C runter ging, schleppte ich mich auf frostknirschenden Gehwegen die zwei Kilometer zu meinem Hausarzt, die Augen halb geschlossen, die Mütze bis zur Nasenwurzel runtergezogen, den Schal vorm Mund. Der eisige Wind drang trotzdem bis runter auf die Knochen. Durch den verrotzten Wasserkopf wummerten meine Schritte abgedämpft gegen die Schädelinnenseiten.

Während der Anmeldung am Tresen hörte ich meine eigene Stimme von weit weg, und im Wartezimmer pellte ich mich nur äußerst ungern aus meinen Kleidungsschichten. Die im Winter bei mir obligatorische Fleecejacke behielt ich ebenso an wie den Schal. Ich setzte mich ans hintere Ende des Wartezimmers auf einen einzeln stehenden Stuhl und schloss, in Erwartung des Aufgerufen-Werdens, meine müden Augen.
Unter den flirrenden Sinnesverirrungen der sich fröhlich austobenden Krankheit ausharrend, bemerkte ich deshalb nicht wirklich, dass ich bald mit einer Endvierzigerin und ihrer Holzperlenkette allein im ansonsten leeren Zimmer war. Es herrschte Stille. Wie das eben so ist. Niemand spricht. Beide warten. Die Viertelstunden vergingen. Plötzlich hob sie ihre Stimme schwärmend an und sagte zu mir, der ich mein Los  leiernd und stoisch, flach atmend und eben halb dösend ertrug:

„Sie … Sie strahlen so eine erhabene Ruhe aus… Nein, wirklich…. Wahnsinn… Das überträgt sich richtig auf einen…!“

Als wär das hier ein Meditationskurs. Sicher, das war nett von ihr gemeint, aber ich war noch nie erreichbar für unangebrachte Komplimente in falschen Momenten: Ich hatte mehr Rotz im Rüssel als ein Elefant. Ich war seit elf Tagen meine eigene Sauna! Ich hörte hohe Klänge im Ohr, die jeden Ohrwurm vergraulten. Ich war KRANK, Mann! aber nicht die Ruhe selbst, sondern ziemlich ausgeknockt. — Und ich sagte ihr das auch dergestalt und einäugig: „?!..Hmpfrlllgarglmmnn..!? Iccchäh binnn krannnkk…dassis alles…!“, und damit versiegte meine Kommunikationsfähigkeit auch schon wieder. Sie schob wohl noch ein „Wirklich beeindruckend!“ o.ä. hinterher, aber das versandete unkommentiert in den Sphären der Wartezimmeraura, oder wo auch immer.

Das war sie schon, die Anekdote aus einem Winter.